18. November 2022

Windkraft? Ja bitte!

Beitrag aus der Rubrik „Menschen bei Prokon“

Arwa Nafea (38) und Raad Jaleel (40) sind studierte Atomphysiker. Als sie aus dem Irak nach Deutschland fliehen, sind die Hoffnungen groß. Doch der berufliche Neuanfang gestaltet sich schwierig. Bei Prokon finden sie dann mehr als nur Jobs. Das ist ihre Geschichte.

Arwa Raad Menschen Bei Prokon

„Für mich wurde nicht der rote Teppich ausgerollt“, sagt Raad Jaleel. Heute kann der 40-Jährige darüber lachen, wenn er diesen Satz sagt. Seine Frau Arwa Nafea (38) und er haben sich mittlerweile in Itzehoe ein neues Leben aufgebaut. Beide arbeiten für Prokon: Sie im Qualitätsmanagement, er in der Qualitätssicherung. Seit rund zwei Monaten sind sie sogar deutsche Staatsbürger. Aber der Weg dorthin war steinig.

Im Mai 2015 flüchtet Raad aus der irakischen Hauptstadt Bagdad nach Deutschland. Arwa und die beiden Kinder bleiben zunächst dort. Anfangs bereitet Raad nicht nur die Sprache Schwierigkeiten, sondern vor allem die Arbeitssuche. 

„Die Behörden haben zwar mein Studium anerkannt, aber ich bekam keine Arbeitserlaubnis“, erinnert sich Raad. Monate vergehen, doch obwohl Raad in seiner Heimat als Ingenieur gearbeitet hat, bekommt er von der Arbeitsagentur nur Angebote für Jobs im Supermarkt oder im Restaurant. „Ich bin studierter Atomphysiker – natürlich wollte ich in diesem Bereich arbeiten, die modernen Technologien hier kennenlernen und mich weiterbilden“, erklärt er. Der Frust ist groß, doch Raad lässt sich nicht entmutigen. Neun Monate lang ackert er 60 Stunden in der Woche: Tagsüber im Deutschkurs, abends im Restaurant. Sein großes Ziel immer fest vor Augen: seine Familie zu sich zu holen.

Raad Menschen Bei Prokon
„Das Thema Energie verbindet uns. Wir sprechen auch zu Hause viel darüber, tauschen uns über neue Entwicklungen aus.“

Von Kernenergie zu Windkraft

Im August 2017 können Arwa und die Kinder Naya (9) und Ramyar (13) endlich nach Kiel kommen. „So lange voneinander getrennt zu sein, war sehr hart“, sagt Arwa, die ebenfalls Atomphysikerin ist. Kennengelernt haben sich die beiden 2003 während ihres Studiums an der Universität in Bagdad. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Raad und grinst. „Das Thema Energie verbindet uns. Wir sprechen auch zu Hause viel darüber, tauschen uns über neue Entwicklungen aus.“ Und sie überdenken auch ihre Meinungen. In ihrer neuen Heimat Schleswig-Holstein fallen ihnen etwa die zahlreichen Windkraftanlagen auf. Im Irak gebe es kaum welche, erklärt Raad. Zu wenig Wind, zu viel Sand, der den Getrieben schaden würde. Je mehr sie sich mit den weißen Giganten auf den Feldern um sie herum beschäftigen, desto mehr beeinflusst das ihre Einstellung zur Atomenergie. 

„Wie in der Medizin gibt es auch bei Energie Nebenwirkungen. CO2 ist für die Welt wie ein Krebsgeschwür. Und der Betrieb von Atomreaktoren ist riskant und keineswegs emissionsfrei. Ich will für meine Kinder und die kommenden Generationen eine gesunde Erde – ohne Nebenwirkungen. Dafür ist Windenergie der richtige Weg“, sagt Raad.

Er will sein Know-how um eine weitere, nachhaltigere Facette ergänzen. Als er sich für ein Masterstudium zur Windenergie bewirbt, bekommt er zwar von der Hochschule Flensburg das Okay – aber von den Behörden nicht. „Eine Umschulung zum Mechatroniker durfte ich immerhin machen“, erzählt er. Dabei kann der Atomphysiker viele Kenntnisse aus seinem Studium einbringen.

Hoch hinaus

Für das vorgeschriebene Pflichtpraktikum bewirbt sich Raad schließlich bei Prokon. Und er überzeugt dort so sehr, dass die Energiegenossenschaft ihm eine Ausbildung als Mechatroniker für Windkraftanlagen anbietet. „Ich habe mich sehr darüber gefreut“, sagt Raad. Er kann die auf drei Jahre angelegte Ausbildung sogar verkürzen und bekommt im Mai 2022 nach nur einem Jahr und neun Monaten den Abschluss von der IHK. 

Inzwischen arbeitet Raad in der Qualitätssicherung: Er begutachtet und überwacht die Windkraftanlagen, berät die technische Leitung und den Vorstand. Dabei kümmert er sich um die großen Komponenten – also Getriebe, Generatoren und Rotorplatten. Der Check kann dank eines Condition-Monitoring-Systems (CMS) zum Teil per Fernwartung aus dem Büro stattfinden. Aber Raad muss auch regelmäßig hoch hinaus auf die weißen Türme. Die Höhe macht ihm nichts aus – im Gegenteil. „Bei meinem ersten Aufstieg dachte ich: Hey, schöne Aussicht!“, sagt Raad.

Arwa Menschen Bei Prokon
„Alle Kolleginnen und Kollegen haben uns von Herzen unterstützt und geholfen. Dafür sind wir sehr dankbar.“

Eine neue Familie

Eine große Stütze für Raad ist sein Ausbilder und jetziger Abteilungsleiter Tobias Wolff. „Tobias hat uns so sehr geholfen. Er ist unser Schutzengel“, sagt Arwa und lacht. Er verhalf auch ihr zum Einstieg bei Prokon: „Mein Studium wurde direkt anerkannt: Ich musste keine Extra-Ausbildung machen, sondern konnte gleich nach meinem Deutschkurs anfangen.“ Seit 14 Monaten arbeitet Arwa nun schon für das Qualitätsmanagement. Dort überwacht und verwaltet sie die Prüfungen von Betriebsmitteln. „Das können Hebel, Kabel oder Persönliche Schutzausrüstungen (PSA) für die Mitarbeiter:innen sein – für eine reibungslosen und sicheren Ablauf ist es wichtig, dass die Qualität stimmt “, erklärt Arwa.

Auch abseits des Büros können Arwa und Raad auf den Support von Prokon zählen: „Als es Probleme mit unserem Aufenthaltstitel gab, haben sich Tobias Wolff, unser Bereichsleiter Karsten Brandt und die anderen Kollegen für uns eingesetzt“, erzählt Arwa.

Nun sind sie und ihr Mann offiziell deutsche Staatsbürger – und damit vollends in der neuen Heimat angekommen.

Die Türen zum Hörsaal stünden Raad damit jetzt zwar offen. Aber wenn, überhaupt würde er nur berufsbegleitend studieren: „Wir möchten bei Prokon bleiben.“ Er sei ja schon eine ganze Weile im Berufsleben, aber noch nie habe er in einem so netten Team gearbeitet. „Alle Kolleginnen und Kollegen haben uns von Herzen unterstützt und geholfen. Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Arwa. Und Raad ergänzt: „Natürlich vermissen wir unsere Familien im Irak. Aber hier haben wir eine neue Familie gefunden. Und die heißt Prokon.“